Lebensmittel oder Krankmacher?

Gesetze gegen Lebensmittel- und Trinkwasser- vergiftung gehören zu den ältesten der Welt. Der Weltagrarbericht sieht neue und alte Bedrohungen der Lebensmittelsicherheit in Entwicklungs- wie Industrieländern auf dem Vormarsch. Mikrobiologische Verunreinigungen durch Bakterien (z.B. E. coli, Staphylokokken oder Salmonellen), Pilze, Viren und Parasiten mit meist akuten Symptomen stehen dabei an erster Stelle. Lebensmittelskandale sind nur die Spitze des Eisberges.„Weil Lebensmittel über immer längere Zeit in der Kette von Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung verweilen, hat sich die Kontrolle erschwert und das Risiko absichtlicher, unentdeckter oder unbeabsichtigter Verunreinigung und Fälschung steigt. Der Einsatz von Pestiziden und Dünger, von Hormonen in der Fleischproduktion, Massentierhaltung und die Beigabe verschiedener Zusatzstoffe in der Lebensmittelverar- beitung gehören zu den mit den globalen Ernährungsstrukturen verbundenen Sicherheitsbedenken. In Entwicklungsländern verhindert Armut oft die Einhaltung von Vorschriften und die nötige Infrastruktur zu deren Durchsetzung und Kontrolle.” (Global, S. 111)
Vergiftungen und Belastungen durch Pestizide, Schwermetalle und andere Rückstände wie Dioxine, PCBs oder künstliche Hormone bleiben wegen ihrer langfristigeren Wirkung zunächst oft unbemerkt. Treten später chronische Symptome auf, sind die exakten Ursachen im Einzelfall oft schwer belegbar. Dies gilt auch für die Auswirkungen und das Zusammenwirken der Vielzahl neuer chemischer Lebensmittelzusatzstoffe, denen Verbraucher heute ausgesetzt sind. Neue Krankheitssyndrome wie Allergien, Hyperaktivität und bestimmte Krebsarten sind auf dem Vormarsch.

Eine zweischneidige Reaktion auf die wachsenden Gesundheitsgefahren des globalisierten Ernährungssystems sind immer teurere und aufwändigere technische Sicherheitsstandards. Komplexe Rückverfolgungs- und Kennzeichnungs- systeme vom Acker bis zum Teller, die von den Industrieländern und internationalen Konzernen in den Leitlinien des Codex Alimentarius von WHO und FAO und in den sanitären und phytosanitären Standards (SPS) der Welthandelsorganisation (WTO) festgelegt werden, überfordern kleine Produzenten und verstärken so die Marktkonzentration. In Industriestaaten strangulieren sie die traditionelle Lebensmittelherstellung und damit auch die Qualität. In sogenannten Entwicklungsländern, die die Kosten solcher Hygiene-, Test- und Überwachungssysteme nicht aufbringen können, gelten sie häufig nur für Exportgüter, während einfache und effektive lokale Sicherheitsmaßnahmen unterbleiben.

Gefährliches Gewerbe

Die Landwirtschaft gehört neben dem Bergbau und Baugewerbe zu den gefährlichsten Berufsfeldern der Welt. Von den vielen Millionen Arbeitsunfällen pro Jahr enden mindestens 170.000 tödlich. Hauptursache sind Unfälle mit Maschinen und Vergiftungen mit Pestiziden oder anderen Agrarchemikalien, aber auch physische Überbelastung, Lärm, Staub, Allergien und von Tieren übertragene Krankheiten. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass 59% der weltweiten Kinderarbeit in der Landwirtschaft stattfindet. Betroffen sind mindestens 98 Millionen Kinder. Die Dunkelziffer ist hier besonders hoch.

Alte und neue Seuchen

Zu den bedrohlichsten Gesundheitsrisiken in der Landwirtschaft gehören ansteckende Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen und von bestimmten Anbaumethoden begünstigt werden. Bewässerungsmethoden spielen z.B. eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Malaria und anderen von Insekten übertragenen Krankheiten. Die meisten Opfer dieser Seuchen sind Frauen und Kinder auf dem Lande, denen Vorsorge und Behandlung fehlen. Die private, aber auch öffentliche Forschung konzentriert sich häufig auf jene Krankheiten, die auch die zahlungskräftigere Bevölkerung der Städte und Industriestaaten betreffen.„Von 204 ansteckenden Krankheiten, die sich derzeit in reichen wie armen Ländern verbreiten, werden 75% zoonotisch zwischen Tier und Mensch übertragen. (...) Hinzu kommt die zunehmende Resistenzentwicklung durch den Antibiotikaeinsatz in der industriellen Landwirtschaft. Da dies die Vermeidung und Bekämpfung von Krankheiten beschränkt, hat die WHO bereits 1997 die Ausmerzung des nicht-therapeutischen Einsatzes von Antibiotika in der Tierproduktion empfohlen.” (Global, S. 198)
Der Antibiotikaeinsatz in der intensiven Tierhaltung ist zu einer ernsten Bedrohung für die menschliche Gesundheit geworden. 1.619 Tonnen Antibiotika, doppelt so viel wie in der Humanmedizin, wurden 2012 in Deutschlands Mastanlagen eingesetzt. Immer mehr Krankheitserreger werden so gegen Antibiotika resistent. Arbeiter aus Tiermastanlagen gelten daher in Krankenhäusern als gefährliche Risikogruppe.

Der Weltagrarbericht zeigt: Landwirtschaft und Ernährung sind die wichtigste Grundlage menschlicher Gesundheit und zugleich die häufigste Krankheitsursache in reichen wie armen Ländern. Gesunde und nachhaltige Ernährung, Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft können Leiden und vorzeitigen Tod von Milliarden Menschen verhindern.„Wissenschaft und Forschung haben sie darauf konzentriert, Grundnahrungsmittel finanziell einträglicher zu machen (z.B. Kartoffeln in eine Reihe von Snacks zu verarbeiten). Das Ergebnis sind billige, verarbeitete Lebensmittel niedriger Ernährungsdichte (viel Fett, raffinierte Zucker und Salz) und langer Haltbarkeit. Der steigende Konsum solcher Produkte, die vielfältigere, traditionelle Ernährungsgewohnheiten ersetzen, trägt zu weltweit steigender Fettleibigkeit und ernährungsbedingten chronischen Krankheiten bei.“ (Synthese, S. 54) Sie sind wesentliche Grundlagen soliden wirtschaftlichen Aufschwungs in Entwicklungsländern und das beste Rezept gegen ausufernde Gesundheitskosten in Industrieländern. Dass nachhaltige und gesunde Ernährung nur erreicht wird, wo Bedarf (Nachfrage) und Produktion gemeinsam statt getrennt entwickelt werden, gehört zu den Botschaften des Weltagrarberichts, die wissenschaftlich nicht mehr strittig sind. In der Praxis stehen ihrer Umsetzung freilich mächtige Wirtschaftsinteressen entgegen.

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