Landgrabbing
Der Begriff Landgrabbing hat weltweit seit dem Jahr 2008 eine steile Karriere gemacht. Landnahme, Landraub, Landgrabscherei? Eine präzise deutsche Übersetzung fehlt bisher. Gemeint sind großflächige Käufe hauptsächlich von privaten, aber auch staat- lichen Investoren und Agrarunternehmen, die Agrar- flächen kaufen oder langfristig pachten, um sie in eigener Regie zur Herstellung von Agrarrohstoffen zu nutzen. Dabei bewegen sich die internationalen Investoren ebenso wie die staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Verkäufer oft in Grauzonen des Rechts und in einem Niemandsland zwischen traditionellen Landrechten und modernen Eigentumsverhältnissen. Häufig könnte man bei Landgrabbing von einer Landreform von oben sprechen oder der Etablierung neuer, privatwirtschaftlicher Kolonialverhältnisse.
Der Weltagrarbericht befasste sich natürlich mit dem jahrtausendealten Problem der ungerechten Land- verteilung, Ansätzen zu Landreformen und gemein- schaftlicher Bodennutzung. Seine Grundaussage ist einfach: Sichere Pacht- und Eigentumsverhältnisse und vergleichbare Formen von Gemeinschaftseigen- tum samt der entsprechenden Wassernutzungsrechte sind unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass bäuer- liche Betriebe in die eigene Zukunft investieren. Sie sind die Grundlage aller nachhaltigen Entwicklung und Bodenbewirtschaftung. Kaum ein Wirtschafts- bereich der Welt ist so intransparent wie der des Grundeigentums.„Große Ungerechtigkeiten in Bezug auf Besitz und Zugang zu Land und Wasser haben die wirtschaftlichen Ungleichheiten verschärft, die immer noch viele Regionen der Welt kennzeich- nen. Bodenreformen, samt verbesserten Eigentumsverhält- nissen und gerechterem Zugang zu Wasser, sind ein sinnvolles Mittel, um eine nachhaltige Bewirtschaftung zu unterstützen und gleichzeitig auf soziale Ungleichheiten zu reagieren, die die wirtschaftliche Entwicklung hemmen.“ (Synthese, S. 32) An ein globales Landkataster ist auch in Zeiten von Google Maps nicht zu denken. Relikte der Geschichte erhalten sich hier besonders lange. Vergangene Gesellschafts- und Wirtschaftsformen, Ideologien, Stammesrechte, Geschlechterprivilegien sowie Narben von Kriegen und Vertreibung bleiben sichtbar. Die Herrschaft über Grundbücher wird bis heute weltweit nicht nur gerichtlich, sondern vielerorts mit roher privater wie staatlicher Gewalt geregelt.„Die komplexen sozialen und politischen Widersprüche der Grundeigentumsregelungen während der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit haben die Landrechte der Armen immer mehr beeinträchtigt und damit auch den Ruf nach Landreformen populär gemacht.“ (Subsahara-Afrika, S.17)
Der Aufkauf konzentriert sich auf die schwächsten Länder
Die Informationen, die die Land Matrix, ein unabhän- giges Landbeobachtungsprojekt staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungsorganisationen seit 2009 weltweit zusammenträgt, zeigen die Dimensionen und die Gewalt von Landgrabbing. Mindestens fünf Prozent der gesamten Ackerfläche Afrikas hat in den letzten Jahren ihren Besitzer gewechselt. Die größten Landnahmen konzentrieren sich auf Länder, deren Rechtsverhältnisse besonders unsicher und deren Regierungen schwach sind. Sie haben zudem einen besonders hohen Anteil von Hungernden an der Bevölkerung (Demokratische Republik Kongo, Sudan, Mosambik, Äthiopien, Sierra Leone). >>mehr
Fakten & Zahlen
Nur 8% der Landakquisitionen für landwirtschaftliche Nutzung (Gesamtfläche 40,5 Millionen Hektar), die die Land Matrix im November 2016 erfasste, hatten allein die Lebensmittelproduktion zum Ziel. 37% der Fläche war für Pflanzen bestimmt, die nicht der menschlichen Ernährung dienen. Auf 15% sollen Flex Crops wachsen, die je nach Marktlage zu Sprit, Tierfutter oder Nahrungsmitteln verarbeitet werden können. Die restliche Fläche war für mehrere Produkte zugleich bestimmt.
Rund 26,7 Millionen Hektar Land haben sich Investoren seit dem Jahr 2000 weltweit für landwirtschaftliche Zwecke angeeignet – eine Fläche so groß wie das Vereinigte Königreich und Slowenien zusammen. Der am stärksten betroffene Kontinent ist Afrika. Von 1004 im Land Matrix-Bericht erfassten Agrardeals entfielen 422 Geschäfte mit einer Gesamtfläche von 10 Millionen Hektar auf Afrika. Beliebt sind aber auch Osteuropa und Südostasien.
Land Grabbing ist vorrangig ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung, da Investoren aufgrund niedriger rechtsstaatlicher Standards leicht Land kaufen und pachten können. Oxfam wertete zwischen 2000 und 2011 abgewickelte Landgeschäfte aus 56 Ländern aus - drei Viertel der Länder wiesen Defizite im Bereich Mitspracherecht, Rechenschaftspflicht und Korruptionskontrolle auf.
Die Konzentration von Landbesitz hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in Europa, gerade in Osteuropa, extrem beschleunigt und erreicht Dimensionen wie in Brasilien oder Kolumbien, die für ihre ungleiche Landverteilung bekannt sind. In der EU kontrollieren 3% der Grundbesitzer - die großen Betriebe, die über 100 Hektar oder mehr verfügen - die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen.
Obwohl indigene Völker und ländliche Gemeinden – rund 1,5 Milliarden Menschen weltweit – etwa 65% der globalen Landfläche nutzen, haben sie keine Landrechte für drei Viertel ihres angestammten Landes. Nur 18% davon ist für Indigene und lokale Gemeinden legal abgesichert oder zugewiesen.
Die Bodenpreise sind in Deutschland in den letzten Jahren explodiert. Allein 2013 stiegen die Preise für Agrarflächen in den alten Ländern im Schnitt um 13,2% im Vergleich zum Vorjahr auf 25.189 Euro/Hektar. In Ostdeutschland erhöhten sich die Preise um 13,6% auf 10.510 Euro/Hektar.
Eine Auswertung von über 600 Land Deals zeigt, dass 34% der Produktion von Lebensmitteln dienen, während die übrigen Projekte den Anbau von Futter- und Energiepflanzen zum Ziel haben. Bei den meisten Projekten ist die Ernte für den Export bestimmt.
Laut einer Studie der Weltbank wurden zwischen 2008 und 2009 Landgeschäfte über eine Fläche von 56 Millionen Hektar Land getätigt - dies entspricht der fast der Hälfte des EU-Ackerlandes. Rund 70% der Deals spielten sich in Subsahara-Afrika ab in Ländern wie Äthiopien, Mosambik und Sudan.
Land Grabbing geht häufig mit Water Grabbing einher: Die mit dem Land verknüpften Wasserrechte spielen meist eine zentrale Rolle. Unternehmen aus Saudi Arabien kaufen oder pachten beispielsweise riesige Flächen im Ausland zur Produktion von Nahrung, da im eigenen Land Wasser ein knappes Gut ist.