Wissen und Wissenschaft

Dem Wissen geht es wie der Welternährung: „Geistige Unterernährung” und „wissenschaftliche Überfettung” wohnen in der modernen Wissensge- sellschaft zwischen Google und Aberglauben oft Tür an Tür und sind höchst ungerecht und ineffizient über den Globus verteilt. Einem Übermaß an Daten, Informationen und Spezialisten, die den Blick aufs Wesentliche eher verstellen, steht bitterer Mangel gegenüber. Es fehlt an Allgemeinwissen und landwirtschaftlicher Ausbildung, an Beraterinnen und Landwirtschaftsschulen, an Wissenschaftlern, die sich den Problemen vor Ort widmen und an Kompe- tenz, das verfügbare Wissen verschiedener Bereiche ergebnisorientiert zusammenzubringen und da einzusetzen, wo es gebraucht wird.„Das formale AKST-System bietet nicht die erforderlichen Voraussetzungen für eine Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit. Die bestehenden Organisationsmethoden für die Entwicklung und Verbreitung von Technologien eignen sich immer weniger zur Bewältigung der umweltbezogenen Herausforderungen, der Multifunktionalität der Landwirtschaft, des Verlustes der biologischen Vielfalt und des Klimawandels.“ (Synthese, S. 30)
Weil landwirtschaftliches Wissen, Forschung und Technologie (AKST: Agricultural Knowledge, Science and Technology) sein zentraler Gegenstand ist, arbeitet der Weltagrarbericht ausführlich die Geschichte der Errungenschaften und Fehlschläge, der Rollen und des Selbstverständnisses der landwirtschaftlichen Wissensgemeinde auf. Dabei gehen die Autorinnen und Autoren mit dem eigenen Gewerbe bemerkenswert ehrlich und kritisch um. Sie beschreiben neben dem Fortschritt auch die Schäden, die durch Wissenschaft und Forschung in der Vergangenheit angerichtet wurden, sowie die Verantwortung, die die wissenschaftliche Gemeinde selbst dafür trägt.„Angesichts der neuen Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen, wächst in offiziellen Wissenschafts- und Technologie-Organisationen die Erkenntnis, dass das gegen- wärtige Konzept von landwirtschaftlichem Wissen, Forschung und Technologie sich ebenfalls anpassen und verändern muss. Weiter wie bisher ist keine Option. Eine Form möglicher Anpassung ist, sich von der Fixierung auf private und öffentliche Wissenschaft als einzigem Ort von Forschung und Entwicklung zu lösen, hin zu einer Demokratisierung der Wissensproduktion.“ (Synthese, S.18).

Technologie-Transfer oder gemeinschaftliche Innovation?

Ohne bahnbrechende wissenschaftliche Durchbrüche wären die Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktion der letzten 50 Jahre undenkbar gewesen. Das klassische Modell dieses wissenschaftlichen Fortschritts ist der Technologie-Transfer (Transfer of Technology, ToT): Wissenschaftliche Institutionen definieren Probleme und entwickeln hierfür technische Lösungen. Diese werden dann über Berater den Bauern vor Ort als ausführenden Organen vermittelt. So wurde die „Grüne Revolution” vor allem durch öffentliche internationale und nationale Forschungs- zentren und Institutionen umgesetzt; aber auch die Produktivitätssteigerungen in kapitalistischen wie sozialistischen Industriestaaten.„Das Technologie-Transfer-Modell (ToT) war das dominante operationelle und politische Modell. Zur Verfolgung breiterer Entwicklungsziele in Bezug auf die vielfältigen Aufgaben und Rollen landwirtschaftlicher Unternehmen und agrarökologischer Systeme erwies es sich allerdings als wenig effektiv.“ (Global, S. 58)
Von Unternehmen, die mehr und mehr die Rolle staatlicher Beratung übernehmen, wurde dieses hierarchische Modell verfeinert und fortentwickelt. Es ist bis heute „Stand der Technik” und Grundlage der „landwirtschaftliche Tretmühle”, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen eine „autonome Verbreitung“ erfolgreicher Technologien gewährleisten soll. ToT konzentriert sich auf die Steigerung der Produktivität und misst seinen Erfolg an der rate of return, dem wirtschaftlichen Ertrag pro investiertem Forschungs-Dollar. Ökologische, gesundheitliche, soziale und andere nicht unmittelbar marktwirtschaftlich in Geld zu messende Erfolge und Kosten entgehen dieser Bewertung.„Investitionen müssen sich von anderen Kriterien als generellen rate of return-Rentabilitätsberechnungen leiten lassen. Denn sie berücksichtigen üblicherweise weder positive noch negative Umwelt- und Gesundheitseffekte, noch die Verteilung von Kosten und Nutzen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.“ (Global, S. 497)

Dagegen wurden seit den 70er Jahren sogenannte partizipatorische Konzepte entwickelt, die bei der Definition der Probleme das jeweilige Interesse und Wissen von Landwirten, Gemeinden, Institutionen, NGOs und Wissenschaftlern verschiedener Diszipli- nen einbeziehen und sie an der Lösung aktiv betei- ligen. Das ist aufwändiger, erzielt jedoch oft nachhal- tigere Erfolge, weil alle Beteiligten voneinander, miteinander und aus gemeinsam gemachten Fehlern lernen und dabei ihre Ziele und Methoden den realen Problemen und Gegebenheiten anpassen. >>mehr

Fakten & Zahlen

In Subsahara-Afrika wuchsen die Investitionen in die öffentliche Agrarforschung und -entwicklung nach einem Jahrzehnt der Stagnation in den 1990er Jahren seit 2000 um ein Drittel von 1,2 Milliarden Dollar auf 1,7 Milliarden US-Dollar in 2011 (nach Kaufkraftparität 2005). Die Hälfte davon entfiel allerdings auf nur drei Länder: Nigeria ($394 Millionen), Südafrika ($237 Millionen) und Kenia ($188 Millionen).

Die weltweiten öffentlichen Ausgaben für Agrarforschung stiegen von 26,1 Milliarden in 2000 auf 31,7 Milliarden in 2008 - ein Anstieg von 22%. Die Ausgaben entfallen je zur Hälfte auf Industrieländer sowie Länder mit niedrigem und geringem Einkommen. Auf China, Indien und Brasilien entfällt allein ein Viertel der globalen Ausgaben und die Hälfte der Ausgaben von "Entwicklungsländern".

Das Subsaharische Afrika ist die einzige Region der Welt, in der formelle Bildung und staatliche Dienste für fast alle Bürgerinnen und Bürger in einer anderen als ihrer Muttersprache stattfinden.

Der Bedarf an Forschung im ökologischen Landbau im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft ist besonders hoch, da diese Form der Landwirtschaft vor allem auf dem Verständnis des organischen Zusammenwirkens aller einen Betrieb prägenden Faktoren beruht. Der ökologische Landbau ist also wissensbasiert und fußt weniger auf dem Einsatz bestimmter externer Betriebsmittel. Umfassendes Know-how ist also der Schlüssel.

Etwa 15.000 verschiedene Pflanzensorten sind als Lebensmittel und Nutzpflanzen bekannt. Heute werden weniger als 2% davon für landwirtschaftliche Zwecke verwendet.

Pflanzenarten sind nicht nur als Genmaterial zu begreifen und ex-Situ (außerhalb des eigentlichen Lebensraumes) in Genbanken zu konservieren, sondern auch in-Situ (am Ort des Anbaus) mit den damit verknüpften kulturellen Ausdrucksformen.

Grundlagen

  • CGIAR (einst Consultative Group on International Agricultural Research) Beratungsgruppe für Internatio­nale Agrar­forschung
  • GFAR Global Forum on Agricultural Research (angegliedert an FAO in Rom)
  • ISOFAR International Society of Organic Agriculture Research, vereinigt 660 Wissenschaftler aus 80 Ländern, die zu Ökolandbau forschen
  • FiBL Forschungsinstitut für biologischen Landbau
  • Rodale Institute ökologisches Forschungsinstitut auf der Suche nach globalen Lösungen

Bewegung

Literatur

Videos: Indigenes Wissen

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Kurzes Video zu Biopiraterie

Grafiken

  • Public agricultural research expendituresPublic agricultural research expenditures
  • Public and private agricultural R & D spending by regionPublic and private agricultural R & D spending by region
  • Research budget CGIAR and Monsanto South-AmericaResearch budget CGIAR and Monsanto South-America
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